Ayres' Sensorische Integrationstherapie: Ein Leitfaden für Eltern
- SIexpertsDE

- 16. Feb. 2024
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Nov.
Die Sensorische Integrationstherapie nach Ayres ist eine wertvolle Unterstützung für Familien, die die Entwicklung ihrer Kinder unterstützen möchten. Diese Therapieform hilft Kindern, Sinnesinformationen besser zu verarbeiten und zu integrieren, die notwendig sind, um sich reguliert zu verhalten, effizient zu handeln und emotional wohl zu fühlen. Dieser Leitfaden informiert Eltern und Interessierte was sensorische Integration ist, Was Ayres Sensorische Integration ist, wie SI-Therapie abläuft und wie Sie als Eltern sich aktiv einbringen und die Therapieerfolge unterstützen können.
Dr Ayres' Theorie der Sensorischen Integration
Die Theorie der Sensorischen Integration und der daraus folgende Behandlungsansatz wurde von der kalifornischen Ergotherapeutin Dr. Jean Ayres in den 1960er bis 1980er Jahren entwickelt. Dr Ayres hat als erste bewiesen, dass die Sinnesverarbeitung unsere Emotionen, unser Verhalten und unser Lernen beeinflusst. Die SI-Therapie basiert auf der Annahme, dass das Gehirn sich durch kontrollierten sensorischen Input im Rahmen sinnvoller, spielerischer Aktivitäten besser organisieren und effektiver arbeiten kann.
Was ist sensorische Integration?
Sensorische Integration ist ein Prozess im Gehirn, bei dem Sinnesinformationen geordnet verarbeitet und für eine zweckmäßige Reaktion genutzt werden. Wir alle nehmen ständig Reize aus unserem Körper und unserer Umgebung auf, das meiste davon unbewusst. Damit wir nicht überwältigt werden von der Menge und Intensität der Sinneseindrücke, muss unser Gehirn 99% dieser Sinnesinformationen ausfiltern, bevor sie bewusst werden. Das Gehirn muss sich auch an die Intensität der Reize anpassen. Dann werden die Sinnesinformationen unterschieden, analysiert, ihr WO und WAS erkannt und mit Sinnesinformationen aus den anderen Sinnen zusammengebracht (= integriert). Erst nach diesem Verarbeitungsprozess kann eine zweckmäßige Reaktion erfolgen.
Sensorische Integrationsstörungen
Geschätzte 6-15% aller Kinder haben Schwierigkeiten, Sinnesinformationen zu verarbeiten. Manche registrieren bestimmte Sinnesinformationen erst verspätet oder bei hoher Intensität - sie sind "schwerhörig" in einem Sinnessystem. Andere reagieren überempfindlich auf bestimmte Reize und können die Auseinandersetzung damit nicht tolerieren. Ihr Gehirn wird immer alarmierter bis es zu einer Kampf oder Fluchtreaktion kommt. Wieder andere haben Schwierigkeiten, das WO und WAS eines Reizes zu erkennen - sei es, wo das Kind berührt wurde oder was es gerade in der hand hält.
Im Alltag sind diese Kinder oft ungeschickt, wollen nicht selbstständig werden, manche haben Schulschwierigkeiten wegen Aufmerksamkeitsstörungen und/oder Schreibproblemen, oder sie bekommen Diagnosen wie ADHS oder Autismusspektrum.
Anzeichen, dass Ihr Kind Unterstützung braucht
Es ist wichtig, auf Anzeichen zu achten, die darauf hinweisen, dass Ihr Kind Unterstützung braucht. Nehmen Sie vor allem die Pädagog:innen Ihres Kindes ernst, wenn sie von Problemen oder Entwicklungsrückständen berichten. Suchen Sie eine ergotherapeutische Befundung auf! Hier sind einige häufige Symptome: Ihr Kind...
reagiert übertrieben auf bestimmte Geräusche, Berührungen oder Licht. (Hinweis auf Überempfindlichkeit in bestimmten Sinnessystemen)
sucht ständig nach intensiven Sinneserfahrungen, wie intensiver Bewegung, anstrengenden Kraftaktivitäten oder starkem Druck. (Hinweis auf Unterempfindlichkeit in bestimmten Sinnessystemen)
ist im Verhalten hyperaktiv und hat Aufmerksamkeitsprobleme
hat eine niedrige Muskelspannung und Haltungsmängel
ist sich mit 3 jahren noch nicht von sich selbst als "Ich" bewusst: spricht noch von sich selbst in der dritten Person, kann keine Personen zeichnen oder zeichnet gar nicht darstellend.
hat starke Stimmungsschwankungen, ist oft frustriert, und zeigt wenig Selbstbewusstsein
Ergotherapie nach dem ASI®Ansatz
Ablauf der Therapie
Bevor mit der Behandlung begonnen werden kann, muss die Therapeut:in in einer umfassenden Befunderhebung herausfinden, ob die Alltagsprobleme überhaupt mit einer sensorischen Integrationsstörung zusammenhängen und wenn ja, von welchem Typ und welcher Ausprägung die SI-Störung ist.
Es ist best practice, dass nach der Befunderhebung eine Befundbesprechung stattfindet und die Ergebnisse und die Antwort auf die Frage, ob die Alltagsprobleme durch eine SI-Störung erklärt werden können, in einem schriftlichen Befundbericht festgehalten werden.
Die Behandlung findet dann meist 1-2x wöchentlich statt.
Ziele der Therapie
Verbesserung der sensorischen Integration: das Gehirn registriert, moduliert und diskriminiert Sinnesreize und kann sie dadurch auch besser für anpassendes Verhalten nutzen.
Verbesserung von emotionaler Regulation, Verhalten und Lernen: durch die bessere Verarbeitung der Sinnesinformationen werden viele Funktionen verbessert und die Alltagsprobleme werden geringer, was eine positive Entwicklungsspirale in Gang setzt.
Förderung der Selbstwirksamkeit und des Selbstbewusstseins: indem das Kind Herausforderungen meistert und unzählige Erfolgserlebnisse hat, gewinnt es Vertrauen in seine Fähigkeiten, wird zufriedener und ausgeglichener, traut sich mehr zu und steuert auf einen Erfolgskurs zu.
Wie funktioniert die Therapie?
Die sensorische Integrationstherapie erfolgt in der Regel in einer gut abgesicherten und anregenden Umgebung. Die als ASI®Practitioner zertifizierte Ergotherapeut:in arbeitet mit dem Kind zusammen, um Aktivitäten zu gestalten, die den sensorischen und emotionalen Bedürfnissen des Kindes entsprechen.
In welchem Rahmen findet Sensorische Integrationstherapie statt?
Diese Form der Therapie erfordert einen hoch spezialisierten Therapieraum, der groß genug für intensiven Input ist, über zahlreiche Aufhängemöglichkeiten und über eine Menge an einfachen, aber sehr speziellen Therapiegeräten verfügt. (Das ASI Fidelty Measure definiert die Ausstattung genau.) Der Boden ist großflächig mit Matten abgedeckt. meist gibt es eine Rampe mit Rollbrettern und Kletterstrukturen. Am typischsten sind die verschiedenen hängenden Therapieschaukeln: Plattformschaukel, Reifen, Balkenschaukel, Trapeze, evtl. eine Seilbahn, Hängematten an einem Punkt aufgehängt, auch aus elastischem Stoff (Lycraswing) und verschiedene taktile Wannen oder Kisten, ein Bällchenbad oder ähnliches.
Die Therapie findet immer im Einzelsetting - 1:1 mit einer Therapeut:in - statt, da die Therapeut:in zu jeder Zeit auf die sensorischen Bedürfnisse des Kindes eingehen muss - und das ist in einer Gruppe nicht möglich. Ein optimales Setting ist das Parallelsetting, wo zwei oder mehrere Therapeut:innen jeweils mit ihrem Therapiekind im selben Raum arbeiten. Diese parallelen Einzeltherapien bieten natürlichen Gelegenheiten für soziale Interaktionen, die für die meisten Kinder mit SI-Störungen auf ie eine oder andere Art schwierig sind.
Typische Aktivitäten in der Therapie
Die Sensorische Integrationstherapie sieht anders aus als andere Therapien: das Kind darf selbst bestimmen, was es "spielen" möchte. Die Therapeutin folgt seiner Führung und lenkt unauffällig, um genau richtige Herausforderungen zu schaffen, verstärkte Reize für bestimmte Sinnessysteme zu bieten und maximale Erfolgserlebnisse zu garantieren. Die Therapieaktivitäten sind auf den Befund und damit auf die individuellen sensorischen Bedürfnisse des Kindes abgestimmt.
Beispiel Schaukeln: für ein Kind, das im Gleichgewichtssinn unterempfindlich ist, wird intensives Schaukeln auf verschiedenen Geräten und in alle Raumrichtungen an der Tagesordnung stehen. Das Tolle daran: das Kind sucht und liebt diese Sinneserfahrung höchstwahrscheinlich. Diese Arbeit wird die Aufmerksamkeit, Haltung, bilaterale Koordination und räumlich-zeitliche Planung verbessern.
Die Rolle der Eltern
Eltern spielen eine entscheidende Rolle in der Sensorischen Integrationstherapie! Bei einer methodentreuen Ergotherapie nach dem Ansatz von Ayres' Sensorischer Integration (ET-ASI) kommuniziert die Therapeut:in mit den Eltern. Die Eltern müssen in die Festsetzung der Therapieziele einbezogen werden und angeleitet werden, die Prinzipien der Therapie im Alltag umzusetzen. Dadurch unterstützen sie die Therapie machen sie wirksamer. Hier sind einige Anregungen, wie Sie SI-Prinzipien im Alltag umsetzen können:
Schaffen Sie eine passende sensorische Umgebung für Ihr Kind
Gestalten Sie die Wohnung und den Alltag so, dass Ihr Kind ein Reizangebot bekommt, das seinem Gehirn guttut.
Für ein überempfindliches Kind: Schaffen Sie ruhige Bereiche, vermeiden Sie Überstimulation. Schaffen Sie einen Rückzugsbereich. Lassen Sie das Kind bei der Materialauswahl mitbestimmen.
Für ein unterempfindliches Kind: Bieten Sie intensive Sinneserfahrungen an, verbringen Sie viel Zeit auf dem Spielplatz oder in einem Bewegungsraum,Integrieren Sie verschiedene Geräuschquellen, wie Musik oder Naturgeräusche.
Für ein dyspraktisches Kind: Bieten Sie eine ausgewogene Balance von Bekanntheit (z.B. Routinen, die Sicherheit bieten, aber die Planungsfähigkeit nicht fördern) und Neuigkeit (z.B. kleine Veränderungen im Ablauf, andere Orte, wo Dinge zu finden sind - dies fördert die Planungsfähigkeit, kann aber herausfordernd sein und braucht Unterstützung)
Alltagsaktivitäten statt Übungssituationen
Versuchen Sie, die sensorischen Aktivitäten in Haushaltsaktivitäten einzubauen.
Kraftreize: Lassen Sie Ihr Kind staubsaugen, Möbel umstellen, Einkäufe schieben, beim Kochen umrühren.
Gleichgewichtsreize: Lassen Sie Ihr Kind mit einem Rollbrett oder Hüpfball zu den Mahlzeiten kommen.
Berührungsreize: Lassen Sie Ihr Kind Teig kneten, machen Sie beim Abfrottieren Massagespiele, ermuntern Sie Ihr Kind, sich im Laub oder im Heu zu vergraben, in der Wiese zu rollen,...
Fazit: Gemeinsam auf dem Weg zu mehr Lebensqualität
Die Sensorische Integrationstherapie nach Ayres ist ein wertvolles Werkzeug für Eltern, die ihren Kindern zu einem erfolgreicheren und zufriedenstellenderen Leben verhelfen möchten. Denn diese Erfahrungen von "Ich hab's geschafft!" können nur im Kind selbst entstehen - Lob von außen ist dafür kein Ersatz. In der Ergotherapie nach ASI-Ansatz erfahren die Kindern, dass sie Herausforderungen meistern können und verarbeiten dabei verstärkte Sinnesinformationen aus ihrem Körper - aus dem Gleichgewichts-, berührungs- und Kraftsinn. Das Gehirn wird besser aktiviert und geordnet und kann effektiver arbeiten.
Die Eltern unterstützen diese Behandlung, indem sie sich gut über das Thema informieren und die Prinzipien der Sensorischen Integration und die Anregungen aus dem Befundgespräch in den Alltag umsetzen. Eine Stunde Therapie in der Woche kann Impulse liefern, Sie sind dafür verantwortlich, dass dieser Impuls die anderen 6 Tage der Woche weitergeführt, vertieft und ausgebaut wird.
Wenn Sie mehr wissen wollen:
Bestellen Sie sich die Informationsbroschüre der GSIÖ "Manche Kinder sind irgendwie anders"
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